Wohnkomplex "Palais KolleBelle"

Interview mit Marc Kocher, Architekt

2007:Jul // Christian von Borries

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07-2007
















Fünf Fragmente eines Gesprächs mit dem in Berlin tätigen Schweizer Architekten Marc Kocher, der den 30 Millionen schweren Wohnkomplex "Palais KolleBelle" Ecke Kollwitz- und Belforter Straße am Prenzlauer Berg entworfen hat. Die Fragen zur aktuellen Baustellenausstellung stellte Christian von Borries.

Christian von Borries / Herr Kocher, wie kommt ein Projekt wie "KolleBelle" zustande? Geht der Investor auf Sie zu, weil er weiß, dass Sie so etwas bauen können?
Marc Kocher / Er kannte meine Arbeit von zwei kleineren Projekten, dann bekam ich eine sms: "Kauf des Grundstücks ist erfolgt", ich saß gerade in Zürich.
von Borries / Wer hat die stilistischen Fragen entschieden?
Kocher / Die werden bereits getroffen durch die Wahl des Architekten. Wenn man sich ein Bild kauft, denkt man zuerst auch nicht an das Sujet sondern an den Maler, oder in Ihrem Fach an den Dirigenten, der das Stück interpretiert.
von Borries / Und wenn der Investor gesagt hätte: "Wir wollen das in einem weitergedachten Bauhausstil, denn so ein Gebäude stand dort zu ddr-Zeiten." Wären die dann an der falschen Adresse gewesen?
Kocher / Ja, dann hätte ich gesagt, dann bin ich wahrscheinlich nicht der Richtige. Es ist mir bis jetzt noch nie passiert, muss ich gestehen. Die Bauherren, die auf mich zukommen, kennen meinen Stil und überlegen sich zuerst: Können sie sich damit identifizieren? Jeder Investor denkt natürlich auch in Form von Marketing - ist es etwas das auch einen zukünftigen Klienten anspricht? Dieser hier kam gerade aus Paris zurück und fragte ob es möglich wäre, Paris zu interpretieren oder ein Stück Paris nach Berlin zu bringen. Da habe ich gesagt: Selbstverständlich! Entsprechend wird es dann etwas mehr in Richtung Paris interpretiert werden.
von Borries / Toscana-Stil, hätten Sie das auch gemacht?
Kocher / Ich habe meine Sporen verdient durch die Rekonstruktion des Opernhauses La Fenice in Venedig. In den Schweizer Bergen habe ich für einen Amerikaner eine neoklassizistische Villa gebaut, ein Nachbau, neu interpretiert.
von Borries / Das ist einmal eine geschichtliche und eine ästhetische Frage. Bezüglich der Gründerzeit: Die Berliner Mietshäuser aus der Zeit waren Arbeiterkasernen. Sie bauen aber Eigentumswohnungen für ein neues Bürgertum - für eine Erbengeneration aus Westdeutschland.
Kocher / Was heißt "bürgerlich" heute? Ich bin kein Soziologe, ich kann das nicht beurteilen. Das Bauvorhaben zeigt deutlich, dass Deutschland ein Land der Verdienenden und derjenigen, die nichts haben, ist. Das hat mich sehr überrascht.
von Borries / Wer zieht da ein?
Kocher / Das geht quer durch, von jung bis alt, Familien eher nicht, Leute die eine Zweitwohnung in Berlin haben wollen, viele aus dem Ausland, weil Immobilien in Berlin günstiger sind.
[...]
Kocher / Ich frage mich was mit dem Erbe der Städte passiert. Wir sind als Architekten die Schmarotzer des 19. Jahrhunderts. Die europäischen Städte des 19. Jahrhunderts funktionieren am besten. Die klassische Abfolge: Straße, Blockrand, Platz - das sind die Städte, die alle Probleme verwunden haben.
von Borries / Was sagen Sie zum Hansaviertel, einer Idee von Leben in der Stadt und ein Gegenentwurf?
Kocher / Das ist eben eine Insel ohne Durchmischung. Es gibt Leute die dort wohnen, aber mich würde das nicht reizen. Die Plattenbausiedlungen in Lichtenberg und Marzahn haben auch nicht die geschichtliche Tiefe wie hier. Ich habe bei der Senatsbausenatorin ein Stadtmodell aus ddr-Zeiten gesehen, wie die Stadt aussehen sollte, wenn sie fertig gebaut worden wäre: über die ganze Stadt hinweg Plattenbauten, außer einem kleinen Teil in Berlin Mitte.
von Borries / Wie Corbusiers Plan für Paris.
Kocher / Ja. Da kann man doch nicht leben! Touristen würden nicht hierher kommen um sich Berlin anzuschauen!
von Borries / Was sagen Sie zu dem Wunsch nach Homogenität der Stadt? Das Ahornblatt, eine Ikone der ddr-Moderne, wurde abgerissen, dort steht jetzt auch eine eklektizistische Blockrandbebauung.
Kocher / Da beschleicht mich auch immer ein wenig ein komisches Gefühl.
[...]
von Borries / Wieviel Einfluss hatten Sie auf die Gestaltung der Bauzaunausstellung?
Kocher / Alles außer den Möbeln ist mit mir abgestimmt auf den gerenderten Bildern.
von Borries / Aber das sieht doch aus wie aus einem Möbelkatalog.
Kocher / Ja, da kann man nichts dran machen, ich hab's versucht. Es ist ein Problem. Es stört mich wahnsinnig. Sobald man diesen Leuten sagt, wie wäre es mit einem gestreiften Sofa, dann müssten die das neu rendern, das ist viel zu aufwändig. Sie haben einen Katalog, aus dem wählen sie aus.
von Borries / Fänden Sie es besser wenn da Gründerzeitmöbel stünden? Etwas aus dem Katalog des Versandhauses Manufactum?
Kocher / Ja, ich verstehe, was ich noch lieber mag ist dieser Handwerker aus Genf [zeigt einen Katalog mit Gründerzeit- und Biedermeiermöbeln, neu produziert inklusive einer Patina]. Aber das würde die Leute abschrecken.
von Borries / Warum haben sie Kunststoffgriffe hier an ihren Altbaufenstern?
Kocher / Ja, ja, das ist schrecklich. Ich kann meine Kunden eigentlich nicht hier hinkommen lassen.
von Borries / Gibt es einen Architekturstil, der die Gegenwart besser reflektiert als das späte 19. Jahrhundert, auf das Sie sich ja beziehen? Oder ist die Frage falsch gestellt?
Kocher / Nein, es ist eine Frage, die mich zur Zeit sehr beschäftigt. Wissen sie, es ist so: wenn man über die Gegenwart nachdenkt, ich meine die bildende Kunst hat es sehr viel exakter verfolgt, also Malerei und Skulptur. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg musste man sich ernsthaft mit der europäischen Kultur auseinandersetzen. Es ist zu diesem völligen Bruch, zu diesem Zerschlagen überlieferter Werte gekommen. Dasselbe ist auch in der Architektur passiert. Es hat viele Ansätze gegeben, speziell nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Wohnungsnot da war. Da sieht man, dass Architektur zuerst ein funktionelles Bedürfnis ist. Die Frage nach Stil darf man erst stellen, wenn das Funktionelle befriedigt ist, und das ist hier ganz klar der Fall. Die zweite Bedeutung muss klar machen: das hier ist ein Wohnhaus, diese ganze Symbolik muss auch wieder Architektur sein. Wenn sie anfangen, diese Werte auseinanderzuschlagen, wie das viele andere Architekten machen, dann gebe ich der Architektur keine Überlebenschance. Ich gehe mit dem Anspruch heran, dass die Gebäude auch über Jahrzehnte, Jahrhunderte genutzt werden. Stellen sie sich dekonstruktivistische Architektur vor. Wenn wir mal wieder nicht heizen können, wieder ein Krieg über uns hereinbricht, dann sind solche Gebäude nicht mehr zu halten.
[...]
Kocher / Ich bin kein Funktionalist.
von Borries / Was sind sie dann? Traditionalist?
Kocher / Ja, ja.
von Borries / Sind sie ein Reaktionär?
Kocher / Ich bin extrem freiheitsliebend, will mich niemandem unterordnen. An der eth Zürich, wo ich Architektur studiert habe, gibt es nur ein Dogma [schlägt mit der Faust auf den Tisch]: form follows function! Corbusier von morgens um 6 bis abends um 12. Und dann setzen Sie sich in der Zürcher Szene mal mit etwas anderem durch. Sie werden gelyncht! Traditionalistisch ist sicher das richtige Wort. Ich finde das auch immer wieder eine Herausforderung. Am Hackeschen Markt habe ich mich auf die 20er Jahre, Poelzig und den Expressionismus bezogen.
von Borries / Wenn sie einen Anruf von den Besitzern der Häuser an der Frankfurter Allee bekämen, der ehemaligen Stalinallee, könnten sie das auch?
Kocher / Na gut, das ruft ja jetzt nicht Stalin ab…
von Borries / Das ist aber auch sehr eklektizistisch...
Kocher / Dort würde ich auf jeden Fall mit einem Kontrast arbeiten. Da dort schon eine Anlehnung an Geschichte stattgefunden hat, fände ich eine weitere Anlehnung sehr problematisch.
von Borries / Aber geht es ihnen wirklich um "Anlehnung an die Geschichte"? Denn dann könnte man argumentieren: Die Gründerzeit, das waren doch harte Ausbeutungszeiten für die Bevölkerung hier: Kapitalismus, Industrialisierung, Monarchie, Bismarck - oder meinen sie nicht doch einfach Stil?
Kocher / Aber Geschichte kann man doch nicht kopieren. Die alten Römer, die sich auf die Architektur der Griechen bezogen haben, haben auch nicht die Geschichte der Griechen fortgesetzt.
von Borries / Was kann man also kopieren?
Kocher / Es ist ein ganz freies …, wie soll ich sagen, den Stil, die Bauart, die ästhetischen Gedanken die dahinterstecken.
von Borries / Lassen Sie uns von der Gegenwart sprechen, der heutigen Gesellschaft!
Kocher / Die Frage, wie man die heutige Gesellschaft wirklich in Architektur darstellen könnte, habe ich mir noch nie gestellt. Ich finde das wahnsinnig schwierig. Bauen ist keine freie Kunst…
von Borries / Interessant, heute ist die Gleichzeitigkeit. Es gibt zum Beispiel diese Gebäude aus den 70ern von Ludwig Leo in Berlin, er war ein visionärer Radikalfunktionalist, und dann das Bauen nach 1989. Das ist das Gute an Berlin, wenn man das mit der Situation in Paris vergleicht. Dort ist alles hundert Jahre alt, und dann gibt es ein paar ältere und neuere Solitäre.
[…]
Kocher / Ich frage mich, was ist also eigentlich gemeint. Ist es der Stein, oder ist es der geistige Hintergrund, der eine Gestalt annimmt?
von Borries / Was ist das für eine Ideologie... So wie der Fortschrittsglaube eine Ideologie ist, so ist Ihr Denken auch eine.
Kocher / Ja schon, aber finden sie nicht, dass Kunst und Architektur etwas ist, das abgesetzt davon zu betrachten ist?
von Borries / Wovon?
Kocher / Vom unmittelbaren politischen und soziologi­schen Umfeld. Es gibt sicher Repräsentanten, die ohne die unmittelbaren politischen und soziologischen Zwänge nicht das gemacht hätten, was sie gemacht haben.
von Borries / Wie könnte man die Gesellschaft von heute architektonisch reflektieren oder darstellen - ist das dann eine politische oder eine ästhetische Frage?
Kocher / Vielleicht könnte sie ein Anstoß sein um eine Ästhetik zu finden - also das muss ich dann schon sagen: ich bin an Ästhetik interessiert, und nicht daran, wie es denn nun wirklich ist. Vielleicht bin ich da ein bisschen biedermeierlich in dem Sinne, dass ich mich von Politik und Gesellschaft zurückziehe.
von Borries / Ist es das, was die Käufer der von Ihnen entworfenen Wohnungen dann auch finden?
Kocher / Ganz klar, das ist Off Shore. Der andere Begriff ist Trend, und Trend finde ich auch etwas wahnsinnig Faszinierendes.
von Borries / Ist das, wie Sie bauen, Trend?
Kocher / Ich hoffe nicht.
von Borries / Glauben Sie?
Kocher / In Berlin ist es am kommen.
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