Ausgefeilte Improvisationen

Andrea Winkler bei Gerhardsen Gerner

2011:Dec // Julia Gwendolyn Schneider

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12-2011
















Aus der raumgreifenden Installation von Andrea Winkler sticht eine Arbeit hervor: eine traditionell gerahmte Fotografie. Sie bildet einen Fixpunkt innerhalb der unkonventionellen Elemente der Assemblage. Ihr Titel „Miniature Reproduction after Mike Kelley’s “Framed and Frame (Miniature Reproduction ‘Chinatown Wishing Well’ Built by Mike Kelley after Miniature Reproduction ‘Seven Star Cavern’ Built by Prof. H. K. Lu”), 1999“, 2011 deutet auf eine verschachtelte Situation hin und verdrängt die Klarheit der äußeren Form bereits wieder ein Stück. Die Arbeit bezieht sich auf ein monumentales Werk von Mike Kelley, der sich wiederum an einem real existierenden Wunschbrunnen in Los Angeles orientierte.

Als Remake eines Remakes spürt die Miniatur nach, was Kelley im Großen gebaut hat. Beide benutzen Pappmaché, Kelleys Wasserbecken bestehen aber aus Kochtöpfen, ihre sind Plastikbecher. Auch hat er seinen Brunnen bunt besprüht und neben kleinen Buddhafiguren christliche Elemente eingefügt. Trotzdem ist er weniger heilig, denn trashig. Ein Eindruck, den auch die Winklersche Nachahmung prägt. Beide verführen mit eingebauten Assoziationen, nur ufern diese bei Winkler weiter aus. Da steht z. B. ein Plastikpferdchen, liegt leicht deplatziert ein Strohstern und eine pinkfarbene Bluse bedeckt, wie beiläufig hingeworfen, einen Teil des Brunnens. Das bewunderte Vorbild wird nicht nur kopiert, sondern auch angeeignet. Mehr noch, Winklers Skulptur dekonstruiert sich nahezu selbst. Sie steht zwar in der Bildmitte, ist aber Teil eines Gesamtbildes. Pappbecher, Magazine, Pistazienschalen, Turnschuhe, Plastikfolie und Lametta verbreiten um den Altar eine Unordnung, von der er sich nur schwer abhebt. Weit entfernt von Kelleys imposantem Objekt inszeniert sich diese Skulptur bruchstückhaft; letztlich ist sie Teil einer zwischen Dokumentation und Inszenierung schwankenden Fotografie.

Bezeichnenderweise war Winkler, als sie im Jahr 2000 Kelleys „Chinatown Wishing Well“ im Migros Museum sah, so beeindruckt, dass sie entschied, von der Zweidimensionalität ihrer Papier- und Fotoarbeiten in die Dreidimensionalität überzugehen. Das Arbeiten im und mit dem Raum bildet inzwischen eine feste Konstante in ihrem Oeuvre. Oft bewegt sie sich zwischen Körpern und Oberfläche, ähnlich wie ihr Remake die Skulptur an der Grenze zur Fläche ansiedelt und beide Ebenen verwischt. Die geschickte Verknüpfung von unvollkommener Skulptur und chaotischer Studiosituation lässt die Objekthaftigkeit in den Hintergrund rutschen, zumal so die Fotografie und nicht nur der Altar das Werk bildet.

Gleichsam von der anderen Richtung her kommend, bewegen sich ihre Arbeiten aus herausgerissenen Magazinseiten am Rand der Fläche, wie auch der Oberflächlichkeit. Aus dem Zusammenhang der Modewelt entfernt, werden die Hochglanzblätter als Objet trouvé behandelt. Eine solche Seite mag eine Abbildung wie z. B. einen Soldaten mit „Gucci-Kappe“ zeigen, einzeln an die Wand gepinnt tritt aber auch ihre Beschaffenheit zum Vorschein – die dünne Fläche. Diese wird z. B. mit Einschnitten versehen, oder teilweise gefaltet und zusammengeknautscht. Die locker ausgeführten Eingriffe deuten auf eine Materialität und Plastizität, die im Kontrast zum makellosen Hochglanz steht. Als dekontextualisierte Bilder werden sie zu eigenständigen Objekten, die zugleich zu Winklers gesamträumlicher Collage gehören.

In dieser durchziehen feingliedrige, goldene und silberne Metallketten den Galerieraum. Glitzernde Personenleitsysteme, die aus Hotellobbys bekannt sind, teilen Segmente ab und bilden skulpturale Einschübe mit deutlich bildhaftem Charakter. Es entsteht ein lineares System von dessen Vorgaben man sich leiten und verleiten lassen kann. Mal geht eine Kette um die Wand und erweckt den Eindruck einer glänzenden Umwicklung, bevor ihr ein Pfeiler das Ende erklärt. Eine andere schwingt hingegen Richtung Decke empor, bis sie in der weißen Wand wie in einer Sackgasse mündet. Gelegentlich ergänzt Winkler diese Ausläufe mit zeichenhaften Fährten, die sie wie Graffiti auf die Wand sprüht.

Ein Gegengewicht zu den filigranen Elementen bilden bunte Sockel, deren Form an Podeste von Zirkuselefanten erinnert. Ihre Außenseiten sind mit großflächigen Digitaldrucken aus mehr oder weniger verfremdeten Fotografien oder Farbverläufen beklebt. Wieder geht es nicht um perfekt gefertigte Körper; Produktionsspuren werden extra offen gelegt, oder oben auf eine Silberfolie so beiläufig platziert, dass die Grenze zur Beliebigkeit fast überschritten ist. Aber darin liegt das Besondere an Winklers Vorgehen. Alles zusammen besitzt eine eigentümliche Eleganz, eigentümlich daher, weil die einzelnen Elemente eher unfertig, voller intendierter Fehler und teils etwas abgeschmackt sind. Winkler ordnet sie aber so präzise im Raum an, dass eine ausgefeilte Beiläufigkeit entsteht, die äußerst elegant ist.

Andrea Winkler „Patricia“, Gerhardsen Gerner, Holzmarktstraße 15–18, 10179 Berlin, 15.10.–5.11.2011

Andrea Winkler "Patricia", 2011, Ausstellungsansicht Courtesy Gerhardsen Gerner (© Matthias Kolb)
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