Viel Sinn im Unsinn

Manfred Pernice im n.b.k.

2011:Dec // Katharina Schlüter

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12-2011
















 Mit „Liebe Freunde!“ begrüsst uns Manfred Pernice in einem mehrfach korrigierten und dann vervielfachten Brief zu seiner Ausstellung „von der stange“ im n.b.k. Hier lässt der Künstler verlautbaren, er freue sich, uns, den Besuchern, seine neuen Arbeiten aus der „Sommerkollektion“ präsentieren zu dürfen. Ganz herzlich dankt er auch dem Kurator, der für diese Ausstellung kurzfristig einen Lagerraum der Artothek frei räumen und zum „Showroom“ umfunktionieren konnte. Zum Schluss weist Pernice noch vorsorglich darauf hin, dass er einige Skulpturen preislich herabgesetzt hat, um eben jenen, deren Brieftasche nicht so gut gefüllt sei, die Möglichkeit zu geben, auch etwas zu erwerben.

Und in dem wirklich sehr kleinen Showroom, nur beleuchtet von einigen Schreibtischlampen älteren Datums, stehen sie nun: industrieblau, Holz und holzfarben, wilde Konstruktionen aus Kuben und Kreisen, die neuen Skulpturen von Manfred Pernice. Fast scheinen die einzelnen skulpturalen Elemente der Installation „von der stange“ eigene Persönlichkeiten zu haben und sie erinnern in ihrer abstrakten, einfachen geometrischen Formensprache an die Figurinen aus Oskar Schlemmers „Triadischem Ballet“.

In Oskar Schlemmers Ballet tanzten die Figurinen bevorzugt im Dreiklang. Die Kostüme waren im Sinne des Bauhauses und der Moderne aus möglichst geometrischen Formen gebildet. Bei Manfred Pernices skulpturaler Präsentation „von der stange“ stehen die ebenfalls aus geometrischen Formen bestehenden, zehn Skulpturen etwas unsortiert in einem dafür vorgesehenen Raster auf dem Boden. Jeweils fünf auf einer Seite – aufgestellt wie zu einem klassischen Paartanz. Das Raster ist allerdings nur teilweise, fast schon nachlässig, nummeriert: 6, 7, 8 – die restlichen Nummern fehlen. Man fühlt sich an einen zählbaren Tanzrhythmus erinnert.

Für den begehbaren Werkzyklus hat der Künstler jeweils die gleichen Elementen wie Archivmaterialien, skulpturale Versatzstücke oder Teile älterer Arbeiten je anders kombiniert verwendet. In den Kombinationen und Ausgestaltungen der Installation aus „Bauklotzkörpern“ zeigt sich nicht nur die Vielseitigkeit des künstlerischen Materials, sondern es werden auch die unterschiedlichen Forschungsinteressen des Künstlers sichtbar. Pappdreiecke mit der Aufschrift „Reduziert“ oder rote Würfel mit „40“ oder „50“ tauchen genauso auf wie eine Verpackung für eine Bratpfanne der Marke „Lugano“, Publikationen zum Klassizismus, dem antinationalsozialistischen „Kreisauer Kreis“, oder Ausdrucke mit Informationen zum global agierenden, skandinavischen Industrieunternehmen „Sandvik“. Wir befinden uns mitten in einem Pernice’schen „Unsinnszusammenhang“, voller dada - istischer Widersprüche. Denn was hat eine Bratpfanne mit historischen Widerstandsbewegungen, Globalisierung, Klassizismus oder dem Phänomen des Sommerschlussverkaufs zu tun? An sich nichts, in Pernice Arbeit dann doch Einiges.

Die Methode des „Rezyklierens“ verwendend, zeigt Pernice für ihn „klassische“ Werke: Bauklotz-Skulpturen aus Spanplatte. Jedoch sind die einzelnen Skulpturen hier eben nicht „von der stange“, sondern höchst individuelle, künstlerische Unikate. Alltagsgegenstände wie die Bratpfanne einer nicht sonderlich bekannten Marke hingegen sind Reminiszenzen unserer „verdosten“ Welt des Kommerzes. Und der Kommerz herrscht bekanntermaßen auch im mittlerweile globalisierten Kunstbetrieb: jedes Jahr wieder auf den Kunstmessen von Köln bis Miami und naturgemäß jahresübergreifend international in den Galerien zeitgenössischer Kunst. Hier bemüht man sich, grundsätzlich künstlerisch Wertvolles, sprich Einzigartiges und Relevantes, zu zeigen. Interessant wird es, wenn sich die künstlerische „Position“ durchgesetzt hat. Dann lassen sich auch weniger einzigartige Werke, die das „Typische“, das Mustergültige und damit bei Erfolg auch Klassische der Position repräsentieren, gut verkaufen. Wenn die Nachfrage besonders groß wird, kann es vor allem auf Messen zu Situation kommen, die dem alltäglichen Sommerschlussverkauf ähneln, bis hin zu Tumulten, die man analog auch bei Karstadt am Grabbeltisch beobachten könnte. Manch eine/r wurde in solch einer Phase auch schon mal endgültig „ausverkauft“.

Im Lagerraum – ups, Showroom – des n.b.k. zeigt Manfred Pernice nun mit seinen individuellen Skulpturen eine mit scharfem Auge und Geist entwickelte Präsentation, die wie scheinbar hingeworfen, eine abstrakte, dreidimensionale Persiflage auf den Kunstbetrieb zu skizzieren scheint. Unter dem Titel „von der stange“ wird hier augenfällig, wie viel Sinn zuweilen im Unsinn stecken kann.

Manfred Pernice „von der stange“, n.b.k., Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin, 6.9.–28.10.2011
Manfred Pernice "von der Stange", 2011, Ausstellungsansicht, courtesy n.b.k. (© Foto: Jens Ziehe)
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