Neue, alte Armut

Sergej Jensen in der Galerie Neu

2011:Dec // Jana Hyner

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12-2011
















Der Autor ist zwar schon lange tot, aber gerade startet das Kunstwerk mit anonymer Handschrift durch die Wiederaufnahme und Neuinterpretation der Arte Povera in eine weitere Runde. Während der Stern mit den strahlenden Werken der Rehbergers und Pardos sinkt, macht sich eine Reihe von Künstlern an der Auferstehung der armen Materialen zu schaffen. Sergej Jensen ist einer der populärsten Protagonisten der neuen Minimalpuristen, mit Einzelaustellungen in den Berliner KunstWerken 2009 oder Anfang dieses Jahres im PS 1 in New York. Auch die Galerie Neu hat dem in Berlin lebenden dänischen Künstler mit „Master of Color“ (erneut) eine Soloshow eingerichtet.

Und das heißt viel Bild auf wenig Raum: vierzehn, zum Teil sehr großformatige Leinwände, die dicht gehängt sind, nicht nur in Linie, sondern auch übereinander. Da ist ein kleines monochromes Rosafarbenes neben zwei Gemälden, bei denen Jensen dem Betrachter die Rückseite der bemalten Leinwand zeigt. Mit ihren durchgesickerten Verwischungen, die von der Farbe der Vorderseite stammen, kommen sie wie Tuschezeichnungen daher. Zu sehen sind außerdem mehrere genähte Bilder mit wulstigen Stoffnarben, feinen Linien aus Nähten und applizierten Stofffetzen. Oder eines mit Farbspuren, das mit seiner spontanen Geste an Cy Twombly erinnert. Das Gemälde mit aufgeklebten Geldscheinen, die, in Stücke geschnitten, einen sehr schmalen, einem Tisch ähnelnden Gegenstand vor dunklem Hintergrund bilden, reiht sich in die bisherigen Bilderfindungen von Jensen ein. Und alle Arbeiten in der Galerie wirken wie Fundstücke, die eben noch an einer Hauswand gelehnt haben, bevor sie vom Künstler nicht nur nach drinnen, sondern direkt hinein in den Kunstkontext getragen wurden, wo sie trotz der Schäbigkeit ihrer Materialien und deren grundsätzlicher Banalität seltsam kostbar wirken.

Sergej Jensen wendet für die Werke bei Neu, die alle 2011 entstanden sind, seine inzwischen standardisierte Methode des Bildermachens an. Dafür nimmt er fast immer kaputte, benutzte Materialien, also diese kunstfremden Dinge, wie sie sind und wie er sie vorfindet, um sie durch einen minimalen künstlerischen Eingriff, der allerdings Monate dauern kann, zu einem Gemälde umzuformen. Die Leinwand wird durch Schneiden, Dehnen, Bleichen, Färben, Waschen oder Nähen von Jensen intensiv bearbeitet, wobei der Zufall und die bewusste Geste ineinandergreifen. Am Ende sind die Flecken, Löcher, Risse und Nähte dann zu Linien und minimalistischer Malerei geworden.

Auch wenn dieser Prozess das Bild stark mitdefiniert, interessiert Jensen weniger das Material an sich, als die Frage, wie Malerei mit diesem Material funktioniert. Und so wie er den künstlerischen Eingriff ganz gering hält, weil er nicht allzu viel von sich selbst einbringen will, arbeitet er an dem ewigen Widerspruch der Moderne, die malerische Geste auszulöschen und doch Malerei zu schaffen. Schließlich verwendet Jensen keine der traditionellen Malmethoden, sondern schiebt die geschundene Leinwand ins Zentrum seiner Arbeit. Alles, was ein Gemälde formal definiert, der Bildträger, der Rahmen, die Farbe, wird bei ihm zum Bild selbst, nur Gemaltes findet nicht statt.

Auf den ersten Blick sehen Jensens Bilder wie die abstrakten Malereien der Moderne aus, und auch bei Neu hängen Werke, die an Ad Reinhardt, Antoni Tàpies oder Robert Ryman erinnern. Zwar nutzt Jensen die vereinbarte Bildsprache und arbeitet mit Stil-Zitaten der Moderne, doch er treibt die Überwindung der tradierten Auffassung der Materialwertigkeit immer weiter und entzieht seinen Interpreten damit den Orientierungsmaßstab. „Seht her, ich bin ein Ryman“, scheint eines seiner Gemälde zu rufen. „Nein“, denkt der Betrachter, „dazu bist du viel zu schäbig.“ Aber war der originale Ryman von Anfang an erhaben, oder sieht man ihn mittlerweile so, weil er längst zum teuren Kunstgeschmack gehört? Sergej Jensen führt die Auseinandersetzung mit der Moderne auf ironische Weise und liegt mit seinen peripheren Werken auch noch voll im Trend. Auf der documenta 13 im kommenden Jahr wird die Auferweckung von Giuseppe Penone für den Kunstmarkt stattfinden, während jüngere Künstler wie Gedi Sibony, Noam Rappaport oder David Keating mit ihren spröden Werken auf Biennalen und Messen vertreten sind. Das Pure ist gefragt. Nicht mehr die Oberfläche ist interessant, sondern das, was dahinter liegt – anscheinend nur noch, was dahinter liegt. Also Wohlfühlkunst adieu, die Rauen kommen? Jensens Edition für die September-Ausgabe von Texte zur Kunst war jedenfalls an einem Tag vergriffen.

Sergej Jensen „Master of Color“, Galerie Neu, Philippstraße 13, 10115 Berlin, 9.9.–22.10.2011
Sergej Jensen "Master of Color", Ausstellungsansicht, Courtesy Galerie Neu (© Foto: Jana Hyner)
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